Gender-Gedanke trägt Früchte

Im Auftrag des Deutschen Gewerkschaftsbundes haben zwei Journalistinnen nach gleichstellungspolitischen Vorbildern gesucht - und sind fündig geworden. Ein Handbuch zeigt Näheres.

Den biologischen Unterschieden der Geschlechter schenken Männer höchste Aufmerksamkeit, die sozialen (Gender) ignorieren sie lieber. Die Wirtschaft erweist sich auch in Gender-Fragen als die Trutzburg, hinter deren Mauern Benachteiligungen am hartnäckigsten ignoriert oder sogar verteidigt werden. Manches ist besser geworden. Aber weniger vom Guten, mehr vom Schlechten ist weibliche Arbeitswirklichkeit geblieben.

Wer die Arbeitswelt einem Geschlechter-Interessen-Check - so lässt sich Gender-Mainstreaming vielleicht übersetzen - unterzieht, stößt an allen Ecken und Enden auf Diskriminierungen. Ob es Arbeitszeiten, Ausbildung und Qualifizierung sind, ob es um Personalplanung, Entgeltgleichheit, betriebliche Altersvorsorge oder die Vereinbarkeit von Familie und Beruf geht - Handlungsbedarf ist schnell ermittelt. Das Stöhnen der Betriebs- und Personalräte, sie hätten auch noch etwas anderes zu tun, ist nicht zu überhören. Und die rot-grüne Regierung traut sich nicht, ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft zu erlassen.

Im Auftrag des DGB zogen zwei Späherinnen aus und erkundeten, wo auf dem harten Pflaster Ökonomie gleichstellungspolitische Blumen blühen. Die beiden Journalistinnen Dorothee Beck und Anne Graef sind fündig geworden: Der Gender-Gedanke trägt Früchte, immer mehr Ritter wider die Chancengleichheit sind zu Abrüstungsverhandlungen bereit, die einen unter Druck, andere aus Einsicht. Herausgekommen ist ein "Handbuch für eine gute betriebliche Praxis". Mit diesem Buch in der Hand kann einer keiner mehr was vormachen.

Ausgestattet mit einer ausgesprochen nützlichen CD-Rom, sammelt, analysiert und präsentiert es unter dem Titel "ChancenGleich" juristisch geschützte Wege, betriebspolitisch gangbare Pfade, solidarisch geschlagene Schneisen, taktisch kluge Verhandlungsstrategien zu mehr Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern. Engagiert, aber unaufgeregt, ebenso sensibel wie souverän belegen die beiden Journalistinnen mit vielen Beispielen, dass das "richtige Leben" facettenreicher, bunter, ermutigender ist als es die Statistiken ahnen lassen. Aus einer langen Liste von Positivbeispielen: Das Eltern-Kind-Arbeitszimmer, das die Barmer Ersatzkasse eingerichtet hat; die Qualifizierungsoffensive des Schokoladenproduzenten Van Houten; die familienfreundlichen Arbeitszeiten der Druckwerkstatt Darmstadt; die besonderen Pflegezeiten, die die Telekom einräumt.

Arbeitsforscher sagen, die Wirtschaft befinde sich auf dem Weg von der Produktions- zur Marktökonomie. Den Betrieb, in dem keine Umstrukturierungsprozesse stattfinden, gibt es nicht. Dass sie oft zu Lasten von Frauen gehen, ist kein Naturgesetz. Umstrukturieren beruhe auf Entscheidungen, werden von betrieblichen Akteurinnen und Akteuren umgesetzt und sind gestaltbar. Je früher der Betriebsrat sich einmischt, umso besser. Wie solche "Frühwarnsysteme" funktionieren können, zeigt das Handbuch.

"Wir kämpfen um jeden Arbeitsplatz, da haben wir keine Zeit für Gleichstellungspolitik", gehört zu den klassischen Betriebsrats-O-Tönen. Wären im gewöhnlichen Gang der Dinge die Männer die Benachteiligten, hätten sie Zeit. So geraten weibliche Beschäftigte etwa durch die gängigen Kriterien von Sozialplänen ins Hintertreffen. Den gleichstellungspolitisch durchgängig vorbildlichen Sozialplan hat bisher noch kein Unternehmen abgeschlossen. Das Handbuch bietet einen Sozialplan-Check an, der zeigt, worauf Betriebsräte unter der Gender-Perspektive achten sollten. Im Schlusskapitel informiert es über Betriebsrats-Netzwerke. "Wir wollen Mut machen und motivieren - vor allem Betriebsräte in kleinen und mittleren Unternehmen, die nur geringe zeitliche und personelle Ressourcen haben", sagen die Autorinnen.

VON HANS-J. ARLT (BERLIN) für die Frankfurter Rundschau

Dorothee Beck, Anne Graef: ChancenGleich - Handbuch für eine gute betriebliche Praxis, Bund-Verlag, Frankfurt am Main 2003, 185 Seiten, 19, 90 Euro

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